End – Station

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Hier saß sie nun, auf ihren alten Sofa und blickte sich um. Mehr als 60 Jahre wohnte sie hier, in ihrer schönen großen Wohnung. Zuerst mit ihren Mann, der bereits vor 10 Jahren verstorben ist. Später mit ihren 2 Kindern, ein Mädel und ein Bub.

Vielleicht sitzt sie hier zum letzten Mal. Die Koffer stehen schon gepackt im Flur. Einmal würde sie hier noch übernachten, darauf hatte sie energisch bestanden. Einmal noch durch ihre Wohnung laufen, nach draußen blicken. Einmal noch in ihrem Ehebett schlafen und sich morgens im Bad frisieren. Einmal noch ihren Kaffee kochen, nicht irgendeine Plörre. Sie wird es genießen, das weiß sie.

Eigentlich hatten sie ja recht, alle miteinander. ‚Das geht nicht mehr,‘ sagten die Kinder. ‚Sie können das nicht mehr,‘ sagte ihr langjähriger Hausarzt. ‚Sie schaffen das nicht mehr,‘ sagten die Pflegedienst-Kräfte die mittlerweile 3x am Tag kamen. „Ja, ja, ihr habt alle recht,“ sagte Edith laut zur Wand.

Aber sie hatte auch Angst, große Angst. Keine Ruhe mehr haben, anderes Essen, nicht mehr selbstbestimmt den Tag organisieren, immer abhängig sein von der Hilfe und Gunst anderer. Es widerstrebte ihr gewaltig. Und dann diese Plörre das sie Kaffee nannten, furchtbar.

‚Es wird schön, du wirst schon sehen,‘ sagten ihre Kinder. ‚Es ist immer jemand für dich da,‘ sagte ihre Nachbarin. ‚Sie haben sogar ein eigenes Zimmer. Soviel Glück hat nicht jeder,‘ sagte die dortige Stations-Schwester.

Alle wollten es ihr schmackhaft machen. Sie durfte sogar ein paar kleine Möbel mitnehmen. ‚Dann wirst du dich direkt heimisch fühlen,‘ sagte die Tochter. Das versöhnte sie tatsächlich etwas. Sie wollte ihren Ohrensessel und die alte Anrichte mitnehmen. Vielleicht 1, 2 Bilder für die Wand. Die Anrichte musste aber sein. Es war ein Erbstück ihrer Eltern, die es schon von ihren Eltern geerbt haben. ‚Ob ihre Kinder das Stück wohl nehmen würden wenn ich nicht mehr bin?‘, fragte sich Edith.

So saß sie da auf ihren Sofa, während der Tag voran schritt. Mit den Händen im Schoss und wartete ein letztes Mal auf den Pflegedienst der ihr das Abendbrot bereitete. Morgen früh nach dem Frühstück würde es losgehen, ihre letzte Reise würde sie mit erhobenen Hauptes antreten. Auch wenn es in ihr drin ganz anders aussah.

 

(Foto Pixabay)

51 Kommentare

  1. ja so ein Abschied tut verdammt weh –
    es wird nie mehr so sein wie es war – das weiß Edith wohl
    sich vom Vertrautem Gefilde zu trennen –
    alles hinter sich zu lassen sobald die Türe ins Schloss fällt
    in einen Koffer passt niemals dein ganzes Hab und Gut rein
    aber vielleicht braucht sie das alles nicht mehr –
    es sind nur drei Dinge die ihr noch wichtig erscheinen –
    die Kommode – die Bilder und der Ohrensessel
    zum Herrgott wandert nur die blanke Seele –
    die Hülle bleibt zurück
    LG die zuza 🙂

    ich habe 1 Jahr in einem Altenheim gearbeitet – der Rest Ambulante Krankenpflege
    das sagt alles 🙂

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    • Ich kann gut verstehen das viele ältere Menschen nicht ins Heim möchten und sich mit Händen und Füssen dagegen wehren.
      Meine Uroma sagte immer:“Einen alten Baum verpflanzt man nicht.“ Wie recht sie doch hatte.

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  2. das ist nur möglich … wenn man bei den Kindern wohnt (Mehrgenerationenhaus) – und die Obhut und Pflege gewährleistet sind –
    auch ein alter Baum wird einmal brüchig – und mit umpflanzen ist dann nix mehr – das gilt aber nur für einen Baum – der Mensch hat es nicht verdient einsam zu sterben

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      • wenn sie sich im Alltag aber nicht mehr zurecht finden – das Essen anliefern lassen – der Pflegedienst ins Haus kommt – und nur auf den Besuch der Kinder abgewiesen ist – die auch noch regelmäßig und pünktlich zu erscheinen haben – dann wirds Zeit umzuziehen – Auf Nachbarschaftshilfe im Alter kann man heute nicht mehr zählen – Du bist nur aktuell wenn du gesund bist – alles andere wird zur Belastung – ich habe mir viele solcher Geschichten anhören müssen und auch erlebt – dieses Thema es umfasst ein breites Spektrum

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      • Da gebe ich dir recht.
        Es gibt leider auch Familienangehörige die dann bestimmen wollen was, wie und wann gemacht wird. Sich im Alter auf einmal bevormunden lassen ist auch ganz schrecklich.
        Es gibt wirklich viele Geschichten und die meisten sind nicht schön.

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      • Das ist mir so zuwider. Wäre wirklich das letzte, das ich meiner Mutter antun würde, egal was war. Oft wird die Hilflosigkeit auch zu später Rache genutzt. Dann ist man auf der gleichen Stufe mit jenen, die einem einmal Unrecht egtan haben.
        Als mein Vater gestorben war, hat meine Mutter eine Weile sehr viel Alkohol konsumiert. Viele sagten, das müsse ich unterbinden, schließlich sei ich auch sonst für alles zuständig. Ich habe mich da nicht eingemischt, denn ich habe durchaus Verständnis für dieses Verhalten gehabt.

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  3. Ein wirklich heikles Thema und etwas, was sich wohl niemand von uns wünscht. Raus aus der Umgebung, die man kennt, hinaus in eine Umgebung, die ganz anders sein wird.
    Toll beschrieben und man leidet ja förmlich mit… ich denke, so geht es jedem, der fremdbestimmt irgendwo hin verpflanzt wird… der Verstand sagt, es muss sein, das herz sagt, ich will das nicht…

    Liebe Grüsse
    Thomas

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  4. Eine berührende Geschichte, die zu Herzen geht. Wer will schon aus seinem gewohnten Umfeld gerissen werden.
    Meine Schwiegeroma und Schwiegermutter wollten nie ins Heim und blieben zu Hause.Die Oma sogar bis zum Tode. Meine Schwiegermutter und der Pflegedienst haben sie bis zum Schluss gepflegt. Meine Schwiegermutter musste kurz nach dem 80. Geburtstag ins Krankenhaus, mit ach und Krach, sie wollte nicht, und wusste, lebend kommt sie da nicht mehr raus. War leider so, letztes Jahr im Oktober.

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      • Ein beachtliches Alter. Meine Schwieoma wurde glaube ich 89. Sie hatte zum Schluss immer gesagt: Wär ich doch schon tot!
        Am Ende konnte sie nichts mehr machen, nur da liegen. Bei meinem letzten Besuch haben wir uns lange tief in die Augen gesehen und stummen Abschied genommen.

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      • Meine Uroma wollte irgendwann auch nicht mehr. Ich denke wenn man nicht mehr kann wie man möchte ist der Wunsch groß zu gehen.

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      • Es ist ja nur noch ein dahin siechen. Dann kommt der Moment, wo man einfach nicht mehr kann. Vor allem, wenn man geistig noch voll da ist.
        Meine Schwiegermutter wollte noch nicht sterben. Die vielen Schlaganfälle im Kopf, die nicht gleich erkannt wurden, haben sie blind gemacht und hat uns nicht mehr wahrgenommen. Wieviel sie wirklich noch mitbekommen hat, wissen wir nicht und haben sie dann sozusagen erlöst. Es war schrecklich, das mit anzusehen. Dass das so endet, hätten wir nie mit gerechnet.

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  5. Das hast du sehr gut geschrieben, berührend! Man kann es so gut nachvollziehen. Meine eine Oma ist beizeiten in ein Altenheim gezogen. Ich habe damit immer positives verbunden. Sie hatte nette Kontakte, konnte aber auch in ihrem Zimmer mit Küche bleiben, wenn sie sich zurückziehen wollte. Wir hatten auch Kontakt zu anderen Leuten aus dem Heim, der noch anhielt, als meine Oma nicht mehr war. Die wenigsten gehen, solange sie noch selbst entscheiden können, sondern warten bis zuletzt und dann wirds noch schwerer. Irgendwann stehen solche Entscheidungen an und nicht immer läßt es sich mit Pflegediensten managen…blöde Situation. Außerdem muß man es bezahlen können. Zweibettzimmer…das ist echt ne Herausforderung!! (womöglich mit Schnarchnachbarn). Ich wäre ja für ne Alten-WG 🙂

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    • Da hast du recht, Sabine.
      Wie viele ältere Menschen gibt es denen ein nettes Wort schon allein glücklich macht.
      Ich finde viele ältere Menschen werden in unserer Gesellschaft einfach unsichtbar.
      In manch anderen Ländern wird sich um die ältere Generation mehr gekümmert als hier. Traurig aber wahr.
      LG, Nati

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  6. Ich (bald 66) weiß, dass ich anfangen muss, mir Gedanken darüber zu machen, wie und wo ich im Alter leben will. Nein, ich muss beginnen zu handeln. Aber das fällt schwer, weil ich mich gerade in meiner schönen Wohnung und meiner hart erarbeiteten Selbständigkeit so wohl fühle. Es ist ein hohes Risiko, dieses friedliche Leben einzutauschen, weil ich vorher nicht wissen kann, ob Haus- oder Wohngemeinschaften wirklich eine gute Alternative sind. Das weiß ich erst, wenn ich alles Alte aufgegeben habe.Vor dem Schritt, mir eine Altenwohnung mit späterer Möglichkeit zur Betreuung/Pflege zu suchen, schrecke ich noch zurück. Wahrscheinlich wird es mir so ergehen wie Edith. Ich finde, sie macht das ganz gut. Und dann hoffe ich, dass auch diese letzte Station nicht nur furchtbar sein wird, sondern auch viel Gutes bringt. (Meine einzige Bedingung ist ein Einzelzimmer, das brauche ich unbedingt!) Auf jeden Fall ist es wichtig, sich mit den Themen Krankheit und Sterben frühzeitig auseinanderzusetzen und Frieden damit zu schließen, dass das Leben endlich ist. Das „erarbeite“ ich mir gerade. Schöne Geschichte, Nati! Sie regt zum Denken, Diskutieren und Erzählen an!

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    • Es freut mich, liebe Regine das dir diese Geschichte gefällt.
      Ich bin zwar um einiges Jünger aber auch ich schiebe alles was mit dem älter werden zutun hat weit weg von mir. Es ist der falsche Weg, ich weiß. Daran muss ich noch arbeiten.

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      • Es ist doch klar, dass man das Älterwerden nicht kennt, wenn man jung ist. Man kann es sich einfach nicht vorstellen. Daher kann man sich auch schlecht auf das Altsein vorbereiten. Darum ist es nicht falsch, sich in jungen Jahren nicht so intensiv damit zu beschäftigen. Das ist einfach noch nicht dran. Bei mir schaut das Alter schon um die Ecke und mit meiner Arthrose bin ich viel eingeschränkter als vor zwei/drei Jahren. Ich kann es mir jetzt ganz gut vorstellen, was auf mich zukommen mag. Darum bin ich viel besser in der Lage, mich mit Krankheit und Tod auseinandezursetzen als früher. Meine große Hoffnung ist, dass das Altenheim wohl eine Endstation ist, in der es sich aber auch immer noch zu leben lohnt, bis mein Weg zu Ende ist!

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      • Man weiß ja sowieso nicht, wie die Zukunft aussieht. Meine Mutter ist übrigens im Pflegeheim förmlich aufgeblüht und sie hatte dort noch ein paar gute Jahre.

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