Station B

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Eilig lief Schwester Anne den Stationsflur entlang, Frau Meier hatte geklingelt. ‚Bestimmt hat sie wieder furchtbare Schmerzen‘, dachte Anne. Frau Meier hatte Krebs im Endstadium. Sie weigerte sich aber energisch stärkere Schmerzmittel zu nehmen. „Ich möchte mit klaren Verstand gehen und nicht dahin siechen“, sagte sie immer wenn einer der Ärzte ihr etwas stärkeres geben wollte. Jetzt wollte sie aber nur etwas Wasser zum Trinken.

‚Es geht bald zuende‘, schoss es Anne in den Kopf. Sie merkte es immer wenn sich jemand auf den Weg machte. Gerne würde sie sich etwas zu der alten Dame setzten,  ihr etwas Zeit schenken. Aber es ging nicht. Zuviel Arbeit und zu wenig Personal im Moment. Eigentlich fehlte ja immer Personal, aber momentan war Urlaubszeit und zwei ihrer Kolleginnen waren krank. Gut das nachher eine Schwesternschülerin von Station A zur Hilfe kommt.

‚Keiner sollte allein sterben‘, dachte Anne traurig. Deshalb saß sie oft nach Dienstschluss eine Weile bei ihren Patienten und schenkte ihnen Zeit und Aufmerksamkeit. Viele die hier lagen waren älter und haben keinen mehr der sich kümmerte. Ihr Mann Hans schimpfte immer wenn sie später kam und ihre kostbare Zeit verschenkte.  Aber sie konnte nicht anders. Es war nicht nur irgendein Beruf, für Anne war es Berufung.

Im Laufe ihres Arbeitstages schaute sie immer wieder kurz bei Frau Meier vorbei. Jedes Mal schlief die Dame. Auch wenn sie dafür eigentlich keine Zeit hatte, sie nahm sie sich einfach.

Abends, nachdem das Abendessen schon lange verteilt war und die Übergabe mit der Nachtschicht protokolliert war, ging Anne erneut zu der älteren Dame. Dieses Mal lächelte sie schwach und deutete auf einen Stuhl neben sich. Schwester Anne setzte sich und nahm vorsichtig die Hand.

So saßen sie schweigend eine ganze Weile. Manchmal brauchte es keine Worte, die Anwesenheit reichte völlig aus. Irgendwann öffnete Frau Meier ihre Augen, ein leichtes lächeln umspielte ihren Mund während er ein ‚Danke‘ formte. Dann ging sie dahin. Anne schickte ein Stossgebet gen Himmel und verabschiedete sich leise. Den Rest würde jetzt die Nachtschicht übernehmen.

Als sie spät Abends nach Hause kam, schimpfte Hans nicht. Denn er sah in ihren Augen was wieder einmal geschehen war. Er nam seine Frau in den Armen und küsste sie auf ihre leicht ergrauten Haare.

 

(Foto Pixabay)

23 Kommentare

  1. 😀 😀 😀 köstlich ihr beiden
    wohnt ihr in einem Zimmer 😀 … das färbt ab

    Apropos Endstation … ich habe im Seniorenheim oft Sterbebegleitung geleistet …
    Nachts hatte ich sogar Zeit für die Erfüllung kleiner Wünsche … eine etwas eigensinnige kleine Lettin … ich mochte sie und kam auch mit ihrem Wesen zurecht – hochintelligenter Adel … sie liebte Fußbäder … und das man ihr einfach nur zuhörte … das tat ich auch … schniiiief

    LG die zuzaly

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