Vom Auslachen

(Nach einer wahren Begebenheit)

Lena verbrachte als Kind oft ihre Sommerferien bei den Großeltern mütterlicherseits. Sie hatten ein Holzhaus in einer Ferienwohnsiedlung, unweit eines Sees. Ringsherum gab es Wälder und Wiesen. Um irgendwo hinzukommen musste man schon mit dem Auto fahren.

Die meiste Zeit verbrachte sie dort draußen, im Garten, in der Siedlung mit den anderen Kindern oder am See. Dort gab es auch einen Gasthof wo man sich Süßes und Eis kaufen konnte.

Eigentlich waren es immer schöne Ferien, auch wenn sie wusste dass die Eltern sie dort hinschickten um etwas Ruhe zu haben. Sie war das mittlere Kind und stets das schwarze Schaf der Familie. Aber dort konnte sie frei tun und lassen was sie wollte. Sich draußen bewegen ohne eingeschränkt zu sein.

Die Großeltern kannten dort fast alle aus der Siedlung. So saß man öfter mit den Nachbarn beisammen oder hielten unterwegs einen Plausch.

An einem Nachmittag saßen die Großeltern wieder einmal bei den Nachbarn im Garten und unterhielten sich rege. Lena kam hinzu um den Schlüssel fürs Haus zu holen. Die Großmutter drehte sich zu ihr, sah ihr ins Gesicht und lachte laut auf. Erst verstand Lena nicht warum sie lachte. Alle Erwachsenen fingen sogleich auch an und bekamen sich vor lauter lachen nicht mehr ein. Sie zeigten mit den Fingern auf Lena und lachten noch mehr.

Erst war Lena verunsichert, dann wurde sie wütend und stapfte davon. Der Großvater rief ihr noch etwas hinterher, aber das bekam sie in ihrer Wut nicht mehr mit. Sie fühlte sich zutiefst verletzt. Ausgelacht von vier Erwachsenen. Alles zog sich in ihr zusammen. Es tat so weh, so gedemütigt zu werden.

Im Haus der Großeltern fasste sie einen Entschluss. Hier konnte sie nicht mehr bleiben. Lena wollte einfach nur weg. Also machte sie sich belegte Brote, nahm ihr Taschengeld und etwas zu Trinken mit.

Den ganzen Tag stromerte sie durch die Gegend, in den Wald, um den See. Sie holte sich am Gasthof ein Eis und spielte dort mit dem Hund des Besitzers.

Am Abend, als ihre Wut und ihr Trotz verflogen war, es immer dunkler wurde, beschloss Lena doch zurück zugehen. Sie hoffte darauf dass sich die Großeltern entschuldigen würden. Sie hoffte auf Trost und eine Wiedersehensfreude.

Doch stattdessen empfing sie ein äußerst wütender Großvater, der sie direkt ins Zimmer schickte. Sie bekam Stubenarrest und sollte ohne Abendbrot ins Bett gehen. Die etwas weicheren Töne der Großmutter fanden keinen Anklang.

Nun verstand Lena gar nichts mehr. Sie wollte und konnte nicht mehr dort bleiben. Also rief sie ihre Eltern an, mit der Bitte sie abzuholen. Der Großvater schimpfte und brüllte ins Telefon. Lena verkroch sich ängstlich in ihr Zimmer.

Am nächsten Tag erschienen die Eltern und nahmen sie mit nach Hause. Vorher gab es noch hitzige Diskussionen, kein Trost oder Verständnis. Auch die Eltern zeigten keinerlei Verständnis. Der Großvater, immer noch außer sich, verabschiedete sich nicht von Lena. Sie sah ihn nie wieder.

Es waren ihre letzten Sommerferien bei den Großeltern. Und alles nur weil sie sich im Gesicht beschmutzt hatte und alle darüber lachten.

Noch heute kann Lena es nicht verstehen und ertragen wenn Kinder ausgelacht werden.

(Foto Pixabay)

25 Kommentare

    • Früher ist man nicht so zimperlich mit den Gefühlen, vor allem der Kinder, umgegangen. Heute überlegt man schon eher was und wie man etwas sagt.

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  1. Früher waren die Kinder aber auch nicht so empfindlich, da sie einen rauen Umgang gewöhnt waren. Da gab es keinen der Rücksicht auf die Kinder genommen hätte. Kinder sind mitgelaufen durch den Rhythmus der Eltern. Zum Glück sind diese Zeiten vorbei. Sind sie natürlich nicht. Aber es wird mehr Rücksicht auf den Nachwuchs genommen.

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      • Ja, darauf bezog ich mich auch. Die Grosseltern hätten ruhig auf das Ausreissen etwas verständnisvoller reagieren können. Dann hätten Oma und Opa und Kind aufeinander zu gehen können. Ich mußte schon ein bisschen schlucken, weil das Kind danach den Großvater nie wieder gesehen hat

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    • Schrecklich.
      Das „schrecklich“ von oben hätte eigentlich hierhin gehört.
      Tragisch, wie wenig die Großeltern, aber auch die Eltern zur Sensibilität und Kommunikation fähig waren.
      Aber die Kriegsgeneration, zu der auch meine Großeltern gehörten, war in vielem wohl eh sprachunfähig, vielleicht auch durch das Erleben von Diktatur und zwei Weltkriegen. Zumindest habe ich meinen Großvater so erlebt.

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  2. Ja, es gibt viele verletzte Kinderseelen, da die Abhängigkeit zu Eltern/Großeltern Überlebens wichtig ist. Manchmal brechen im Erwachsenenalter die verborgenen, verschlossenen Türen wieder auf und man wundert sich nur… -oder ?
    Meine Erfahrung nach gibt es die Wunden in allen Generationen ,vielleicht sind sie übertragbar?

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  3. eine traurige … zugleich eine leerreiche Geschichte die auf der Tagesordnung

    Ich kenne allzugut Demütigungs Szenen von Erwachsenen an Kindern vor versammelter Mannschaft ausgelacht zu werden… mit denen können sie es ja machen – sie haben zu gehorchen und sich dem Willen und Erziehung zu beugen – auch ausgelacht zu wurden ohne Grundangabe fanden Bestrafungen statt … Bonbonentzug … Szenenort war ein Waisenhaus

    Wir Kinder hatten einmal die Mutti ausgelacht … weil sie einen Schokoladen Eisrand um den Mund hatte – Mutti schaute in den Spiegel und lachte herzlich mit – weil wir alle diesen Schokoladeneisrand um den Mund hatten
    Das ist meine kleine Geschichte
    Lg von zuzaly

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      • Deine Kurz-Geschichte liebe Nati passiert in unserer Zeit kontinuierlich – – durch lieblos zum Kind gewordene Eltern
        wir erfahren es über die Medien – was damals nur über Mundpropaganda und Erzählungen von Großeltern stattfand

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