Der Engel

Herz und Verstand ist unser Thema und da wollen wir uns mal dem guten, alten Rilke widmen. Gehaltvoll.

Dieses Gedicht durfte ich heute früh in einem ganz besonderen Adventskalender lesen. Ein Adventskalender ohne Kalorien, sondern gefüllt mit den Gedichten einer meiner Lieblings-Poeten.

Der Engel

Mit einem Neigen seiner Stirne weist

er weit von sich was einschränkt und verpflichtet;

denn durch sein Herz geht riesig aufgerichtet

das ewig Kommende das kreist.

Die tiefen Himmel stehn ihm voll Gestalten,

und jede kann ihm rufen: komm, erkenn -.

Gieb seinen leichten Händen nichts zu halten

aus deinem Lastenden. Sie kämen denn

bei Nacht zu dir, dich ringender zu prüfen,

und gingen wie Erzürnte durch das Haus

und griffen dich als ob sie dich erschüfen

und brächen dich aus deiner Form heraus.

Rainer Maria Rilke

 

10 Kommentare

    • Manchmal lösen wir uns von unserem Engel, manchmal löst sich unser Engel von uns. So wie bei Rilke kehrt er aber auch wieder zurück, bei Rilke aber als Engel der Nacht…

      Du zitierst einen weiteren meiner Lieblingsautoren, Hermann Hesse. Ist wirklich alles Schöne vergänglich? Muss uns der gute Engel verlassen oder wir ihn?

      Liebe Grüsse

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      • Lucifer – ein gefallener Engel, ein Engel der Nacht. In jedem von uns gibt es beide Seiten und ob wir diese dunkle andere Seite anderen zeigen, kommt drauf an. Der „gute“ Engel muss in jedem Fall sterben, wenn man den dunklen sehen will. Das erfordert Mut vom Betrachter, ebenso wie Mut sich „nackich“ zu machen.

        Das Schöne ist immer vergänglich, Leben passiert in Wellen. Je mehr wir festhalten (wollen), um so mehr werden wir enttäuscht. Eben weil alles sich verändert. Gut oder nicht gut? Alles subjektiv, und damit menschlich und gar nicht engelhaft.

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      • Ich merke schon, ich muss noch mehr von Rilke posten. Schöne Interpretation und wenn Du dann mit Hesse antwortest macht es noch mehr Freude, sich mit Gehaltvollem zu befassen. Danke
        Festhalten ist meist keine gute Lösung.
        Ich hab noch einen… von Rilke

        Engellieder

        Ich ließ meinen Engel lange nicht los,
        und er verarmte mir in den Armen,
        und wurde klein, und ich wurde groß:
        und auf einmal war ich das Erbarmen,
        und er eine zitternde Bitte bloß.

        Da hab ich ihm seine Himmel gegeben, –
        und er ließ mir das Nahe, daraus er entschwand;
        er lernte das Schweben, ich lernte das Leben,
        und wir haben langsam einander erkannt …

        Seit mich mein Engel nicht mehr bewacht,
        kann er frei seine Flügel entfalten
        und die Stille der Sterne durchspalten, –
        denn er muss meiner einsamen Nacht
        nicht mehr die ängstlichen Hände halten –
        seit mich mein Engel nicht mehr bewacht.

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      • Oh ja, im Interpretieren bin ich spitze 😂👍🏻.
        Ein Fische-Mond unterstützt Rilkes Wortträumereien und Hesses Entrücktheit 😉. Warte nur, morgen im Widder-Mond sieht die Welt wieder ganz anders aus. Ein Tag zum Pläne schmieden, für neue konkrete Ideen und klare Worte – wirst sehen 😎😉

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