Der zarte Duft

Weit ausholend geht er die Straße entlang. Seine Aktentasche wippt im Takt seiner Schritte. Es ist ein warmer Junitag, sein weißes Hemd strahlt mit der Sonne um die Wette.

Unvermittelt bleibt er stehen. Ein zarter, blumiger Duft umgibt ihn. Wie zauberhaft, denkt er, solch ein schönes Frauenparfum.

Am nächsten Morgen, er ist gedanklich schon bei seiner Tabellenkalkulation, umfängt ihn wieder dieser Duft. Diese Frau scheint den gleichen Weg zu gehen, denkt er und geht lächelnd weiter. Es kann nur eine zierliche Frau sein. Solch ein Duft passt nicht zu einer Rubensdame. Auch wenn er nichts gegen kräftige Frauen hat, etwas mehr auf den Hüften wirkt manchmal recht anziehend. Aber dieser Duft gehört eindeutig einer zierlichen Frau. Vielleicht trägt sie lange Röcke und hat wallendes Haar, überlegt er weiter. Ja, sie hat bestimmt auch einen kleinen Sonnenschirm den sie neckisch dreht.

Fünf Minuten ist er extra eher losgelaufen um sie vielleicht heute zu sehen. Aber wieder ist an dieser Stelle nur dieser Duft. Egal was er in den nächsten Tagen auch anstellt, stets empfängt ihn nur dieses Damenparfum. Weit und breit ist keine zierliche Dame zu sehen.

An seinem arbeitsfreien Freitag steht er besonders früh auf. Diese Frau geht ihm nicht mehr aus dem Kopf. Ständig malt er sich aus wie sie wohl aussieht. Er rasiert sich heute besonders gründlich, zieht sein bestes Hemd an und bindet sich seine „für besondere Anlässe Fliege“ um.

Auf halber Strecke liegt links der Wochenmarkt. Er überlegt ob er es wohl wagen könnte noch schnell einen Blumenstrauß zu kaufen. Zwei Minuten später läuft er etwas aufgeregt, aber mit Vorfreude im Magen, zu dem Ort wo er stets diesen Duft wahrnimmt.

Aber zu spät, schon liegt dieser Duft in der Luft. Enttäuscht setzt er sich auf die Bank unter dem Baum. Krampfhaft überlegt er was er nun unternehmen könnte um diese mysteriöse Frau endlich zu Gesicht zu bekommen.

Kurze Zeit später gesellt sich eine ältere Dame zu ihm auf die Bank. Schnaufend stellt sie ihre Einkäufe neben sich und trinkt einen Schluck Wasser aus ihrer Flasche.

Er fasst sich ein Herz und fragt die Dame ob sie dieses Parfum kennen würde, welches in der Luft liegt. Es sei ja auf jeden Fall ein Frauenduft. Strahlend schaut sie dem Mann in die Augen und zeigt mit ihren knorrigen Fingern nach oben. „Dort oben, das sind diese Lindenblüten des Baumes die so bezaubernd duften.“

Völlig fassungslos schaut er die Dame an, reicht ihr den Blumenstrauß, steht auf und geht. Sie schließt lächelnd für einen Moment die Augen und genießt diesen zarten Lindenblütenduft.

(Foto Nati)

18 Kommentare

  1. So schön und mitnehmend geschrieben, dass ich sogar am Ende das Gefühl hatte den Duft der Lindenblüten wahrzunehmen, liebe Nati und dad Bild unterstreicht diese romantischen Zeilen ser gut.
    Liebe Grüße von Hanne

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  2. Düfte sind etwas wunderbares. Die Welt ohne Gerüche und solche Düfte wäre ärmer. Parfums, einmal gerochen, verfolgen mich über Jahre. Manchmal ist dieses „Geruchs-Gedächtnis“ auch ganz schön doof 😊
    Schöne Geschichte…

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    • Der Geruchs- & Hörsinn ist bei mir stark ausgeprägt.
      Manches möchte man einfach nicht riechen, anderes ist einfach nur schön.
      Bei deinem Geruchs-Gedächtnis kommen sicherlich allerhand Geschichten auf.
      Dankeschön Thomas, freut mich.
      LG, Nati

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      • Ich war kürzlich in meinem alten Gymnasium … das riecht immer noch so wie vor 50 Jahren (oder so) 😉
        Das mit dem Geruchsgedächtnis… wie ein Blitz trifft es mich manchmal. 🌩
        Liebe Grüsse

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      • Hahaha, das kann durchaus sein.
        Ich war bei der Einschulung meiner Jungs erschrocken/erstaunt dass sich nach so vielen Jahren kaum etwas verändert hat.
        Wie ein Blitz ist schon heftig. So etwas habe ich eher wenn ich sehe dass sich jemand verletzt.

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      • Schulen kommen einem vor wie Dinosaurier 🦕
        Ich denke, ich rieche ganz gut und manchmal passiert es, dass eine Frau an mir vorbeigeht, die ein Parfum trägt, was ich kenne… je nachdem ist es der Blitz oder es sind schöne Erinnerungen 😉
        Aber auch der Duft von frischen Kräutern kann mich begeistern…

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      • Da hast du recht. Jahrzehntelang tat sich nichts, jetzt soll am Liebsten alles auf links gedreht werden. Aber das würde jetzt zu politisch werden, lassen wir das. 😉

        Bei mir ist es im Moment die Lindenblüte und der Duft der Edelwicke.
        Frische Kräuter sind immer gut, jetzt ist es ja gerade paradiesisch im Kräutergarten.

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      • Bei dir im Garten, grins…
        Lavendel mag ich auch, in den nächsten Tagen steht er bei mir in voller Blüte.
        Hab noch einen schönen Abend Thomas.

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      • Na ja, ist nicht mein Garten, aber das ist ja auch gut so, sonst wärs nämlich kein Garten sondern Steppe… der Lavendel hier blüht schon und lockt wieder unzählige Brummer an…
        Hab einen schönen Tag
        Liebe Grüsse

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      • So in etwa kann ich es mir vorstellen, lach….
        Wobei, Lavendel würde auch bei dir überleben.
        Er benötigt kaum einen grünen Daumen.
        Danke Thomas, hab du auch einen schönen Tag.
        LG, Nati

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  3. Ich als Mensch fast ohne Geruchssinn kenne Düfte nur vom Hörensagen. Darum kommt die Geschichte für mich etwas weltfremd vor. Also für mich aus fremden Welten. Aber sehr schön geschrieben! Auf jeden Fall!

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    • Wenn die Vorstellung oder Erinnerung der Düfte fehlt, ist es sicherlich schwerer sich dort hinein zu versetzen.
      Aber schön dass dir die Geschichte trotzdem gefällt Regine.
      LG, Nati

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