Wasserschaden

Ich habe einen ganz persönlichen Wasserschaden. Obwohl ich Wasser in jeder Erscheinung liebe, die glucksenden Bäche, glitzernde Seen, wilde Wasserfälle und aufgepeitschtes Meer in all seiner natürlichen Gewalt. Auch bei jeglichem Wassersport mit Booten – ohne Motor – bin ich im richtigen Element. Als Teil der Natur fühle ich mich sehr verbunden, kann gut und ausdauernd schwimmen.

Aber mit dem Kopf unter Wasser hat mein Körper ein Problem. Dieser Schaden ist entstanden, nachdem es mit 13 Jahren beim Tauchen als Übung für den DLRG einen Zwischenfall gegeben hatte. Ein Arzt stellte aufgrund eines Zusammenbruchs nach einem 1.000-Meterlauf – hinter der Ziellinie – einen Herzklappenfehler bei mir fest. Er meinte, ich sei wohl zu schnell gewachsen und das werde sich wieder geben. Allerdings solle ich eine Zeitlang keinen Leistungssport betreiben und keinen Kaffee trinken, was er eh nicht gut fand. Was mich aber nicht interessierte, sondern empörte. Ich wäre nicht ich, wenn ich das nicht ignoriert hätte. Hatte ja auch gerade mit Kugelstoßen begonnen.

Bei meinen Eltern musste ich allerdings einiges an Überzeugungsarbeit leisten. Schließlich sahen sie ein, dass es nicht so schlimm sei, ab und zu mal zu stürzen. Das würden andere ohne Herzfehler beim Training schließlich auch mal. Außerdem merke ich ja, wenn ich plötzlich Schmerzen bekäme und mich links nicht mehr bewegen könne. Ich werde dann in Zukunft sofort abbrechen. Beim 1.000-Meterlauf habe ich nur nicht vor der Ziellinie umfallen wollen. Dann hätte ich ja keine Messung gehabt. Das Versprechen hielt ich  dann auch.

Alles lief gut bis zu jenem Tag im Freibad. Es war gerammelt voll, als wir mit unseren Übungen begannen. Nach dem Schwimmen mit Klamotten und Rettungsübungen kam das Tauchen mit einem Sprung vom Brett an die Reihe. Kaum war  ich am Beckenboden angelangt, ging es los. Ein Ruck oder Stoß durch den Körper, und ich konnte mich links nicht mehr bewegen, rechts war ich nur stark vermindert bewegungsfähig. Wäre alles nicht so schlimm gewesen, hätten sich über mir nicht lauter Körper befunden. So kam ich nicht nach oben. Es fühlte sich an, als ob ich voll Wasser liefe, der Kopf drohte zu explodieren, ein ungeheurer Druck, dann war ich weg. Als ich die Augen wieder aufschlug, lag ich auf der Wiese, mein Hals brannte und der gesamte Brustkorb tat weh. Meine Mitschwimmer hatten sich darüber gewundert, dass ich so lange tauchte, mich schließlich aus dem Wasser geholt. Ich lebte, sollte offensichtlich leben, mehr musste ich nicht wissen.

Und seither möchte mein Körper nicht mehr, dass mein Kopf unter Wasser sei. Zuerst konnte ich nicht mal anderen beim Tauchen zusehen, auch nicht im TV, ohne Panik. Jahrelang habe ich geübt, erst im Waschbecken, später in der Wanne. Irgendwann gelang es mir jedoch wieder, mit äußerster Überwindung und heftigem Herzklopfen, durch ein Becken zu tauchen. Mein Mann und die Kinder fanden das immer zum Schreien, weil sich ganz deutlich zeigt, dass der Körper nicht will, was der Kopf erzwingt. Denn stets ist von Anfang bis Ende der Kopf unter Wasser, der Po jedoch hoch oben, was die Geschwindigkeit stark vermindert. Man nennt es familienintern Ententauchen.

Irgendwie finde ich es spannend, wie verschiedene Systeme versuchen, sich durchzusetzen. Und ich habe keinen Zweifel, dass in einer Notsituation der Körper sich fügen würde.

3 Kommentare

  1. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass ein solch einschneidendes und lebensbedrohliches Erlebnis sich nicht wegradieren lässt und der Körper fortan stets in „Hab-acht-Stellung“ bleibt. Es ist aber bewundernswert, dass du so viel Willenskraft aufbietest, um dich nicht auf ewig von Ängsten einschränken zu lassen.
    Erinnerungen etwas beiseite zu schieben, Panik zu unterdrücken, neue Versuche zu wagen, Stärke herauskitzeln. Sich andererseits aber nicht zu überfordern mit dem Geplanten, psychisch und physisch … Dabei den (gesunden) Mittelweg zu finden, war sicher nicht einfach.

    LG Michèle

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